Ein Beobachter: Beginn der Friedensverhandlungen von Utrecht im Spanischen Erbfolgekrieg (29. Januar 1712)
Dienstag, den 29. Januar 2008An Seine Hoheit Karl VI. von Gottes Gnaden ewig erhabener Römischer Kaiser, Deutscher König, König von Spanien, Ungarn, Böhmen, beiden Sizilien, Jerusalem und über Westindien, Erzherzog Österreichs, Herzog von Burgund, Brabant, Mailand, Fürst zu Schwaben, Katalonien, Markgraf des Heiligen Römischen Reiches, Graf zu Habsburg, Flandern, Tirol.
Erlaube ich mir untertänigst zu berichten, dass mit heutigem Tag der Friedenskongress zu Utrecht begonnen hat. Die Gesandten der beteiligten Mächte scheinen wirklich gewillt zu sein, einen Frieden zu schließen, ohne Beteiligung Seiner kaiserlichen Hoheit.
Verfolgen diesen Prozess mit Skepsis, hoffen aber die Vorstellungen Ihrer gnädigen Hoheit werden berücksichtigt. Bis zu einem Abschluss, der Ihren Ansprüchen genüge tut, empfehle ich untertänigst, den Krieg gegen seine Majestät, Ludwig von Frankreich fortzusetzen, um unsere Armeen in eine Situation zu bringen, die uns das Stellen weitreichender Forderungen erlaubt. Durch die bisherigen Nachrichten der Gesandten der anderen Mächte bleibt uns aber wenig Hoffnung, dass die Mächte sich für eine Zuweisung aller spanischen Lande an Seine kaiserliche Hoheit, aussprechen werden. Sollten uns darauf vorbereiten, dies in der Folge selbst erlangen zu müssen auch gegen den Widerstand der vormals verbündeten Mächte.
Vor allem die Gesandten des vormals mit uns verbündeten Großbritannien scheinen wenig geneigt zu sein, einem ungeteilten Übergang aller spanischen Lande an seine kaiserliche Hoheit zuzustimmen.
Am 29. Januar 1712 begannen die Friedensverhandlungen von Utrecht, mit deren Abschluss ein Krieg enden sollte, der ohne zu übertreiben als „Weltkrieg im Barock“ bezeichnet werden kann. Was mit einem Streit um die Erbfolge des letzten spanischen Habsburgers Karl II. begann wuchs sich zu einem multinationalen Konflikt aus, an dem fast alle zu dieser Zeit bedeutenden Mächte beteiligt waren. Wenn man diesen Konflikt in Verbindung mit dem teilweise zeitgleich und überlappenden Großen Nordischen Krieg in Bezug setzt, so war mit Ausnahme des osmanisch besetzten Teils nahezu ganz Europa in diesen Krieg einbezogen.
Die Kriegsschauplätze erstreckten sich darüber hinaus über die ganze Welt, in Europa lagen sie in Spanien, dem Mittelmeer, Frankreich, den spanischen Niederlanden, in fast ganz Italien, im Reich entlang der Donau und des Rheins. Dazu kamen die von Frankreich unterstützten Aufstände in Ungarn und Schottland. Darüber hinaus kam es auch in den Kolonien der beteiligten Mächte zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Auch in seinen Ergebnissen ist der Spanische Erbfolgekrieg kaum zu überschätzen.
Trotz all der an der siegreichen Allianz gegen Frankreich beteiligten Mächte, gab es am Ende nur einen wirklich großen Sieger: Das immer wieder geschickt agierende England (bzw. seit dem Act of Union 1707 eigentlich als Großbritannien zu bezeichnen) ging als deutlicher Sieger aus dem Spanischen Erbfolgekrieg hervor. So gewann es durch den Frieden von Utrecht im Mittelmeer Menorca und das bis heute in seiner strategischen Bedeutung unangefochten wichtige Gibraltar. In Amerika gewann England v.a. Nova Scotia und Neufundland hinzu, die Einfalltore nach Kanada, von denen aus England nach und nach die Kontrolle über den ganzen Bereich Kanadas übernehmen sollte. Im sogenannten ‚Asiento’, bekam England darüber hinaus das Monopol über den gesamten Sklavenhandel mit den spanischen Kolonien.
Oftmals spricht man im Bezug auf die Folgezeit des Spanischen Erbfolgekriegs von dem Entstehen einer Pentarchie der Großmächte in Europa und vom System der Balance of Power. Das aber ist zu kurz gegriffen. England war es gelungen seine Konkurrenten in Übersee durch diesen Krieg weit zu überholen. Spaniens Abstieg setzte sich fort, Frankreich war zur See deutlich geschlagen, selbst die Vereinigten Niederlande rutschten in der Folge weiter ab, obwohl auch sie eine der militärischen Siegermächte des Konfliktes waren. So gab es am Ende zwar eine Balance of Power auf dem europäischen Kontinent, aber eben nur dort, allerdings nicht mit England als einer einbezogener Macht, sondern eher als Kontrolleur dieses Gleichgewichtes, dass immer wieder eingriff, wenn eine Macht drohte das Gleichgewicht zu ihren Gunsten zu bewegen und somit in die Lage gekommen wäre, die britische Hegemonialstellung in der Welt anzugreifen.
Und damit ist die englische Politik im Spanischen Erbfolgekrieg und vor allem beim Ausmaß des Einflusses Englands auf die Bestimmungen auf den Frieden von Utrecht eben nicht nur Ausdruck der sehr eigenen englischen Interpretation des Begriffs ‚Gleichgewicht’, sondern vielmehr auch als Bild und Vorbild eines anderen Teils der zukünftigen englischen Politik und des englischen Selbstverständnisses, wenn auch in dieser Begrifflichkeit erst später verwendet, zu sehen: ‚Rule Britannia’.
Was war aber nun mit Österreich und seinem habsburgischen Kaiser? Zwar versuchten die österreichischen Truppen unter ihrem Heerführer Prinz Eugen zwar noch, Frankreich im Alleingang weiter zu bekämpfen, was aber durch das Wegfallen des wichtigsten Verbündeten, England, am Ende nicht von Erfolg gekrönt war. So mussten die Habsburger und das Reich am Ende in den Friedenschlüssen von Rastatt und Baden den Bestimmungen des Friedensvertrages von Utrecht zustimmen. Die spanische Erbfolge mit allen Kolonien fiel dadurch an Philipp V. aus dem Hause der Bourbonen, wobei aber eine spätere Vereinigung der Kronen und Frankreichs unter einem Herrscher ausgeschlossen wurde (was letztlich zum etwas später folgenden „Krieg der Quadruppel-Allianz” führte). Österreich bekam im Gegenzug die spanischen Niederlande und die ehemaligen Besitzungen der spanischen Habsburger in Italien zugesprochen.
Wenn man den Spanischen Erbfolgekrieg in seiner Gesamtheit und seiner Bedeutung sieht, so ist es umso verwunderlicher, wie stiefmütterlich er bis heute behandelt wird. So gibt es bis heute keinerlei umfassende deutschsprachige Monographie über diesen neuzeitlichen „Weltkrieg“.