Marta Heberle: Erfurter Latrinensturz (26.Juli 1184)

„Wäre es nicht so schrecklich, würde ich ja lachen – die feinen Herren haben es nicht anders verdient, aber ach zu schrecklich war es dann doch.
Und der König, der König war auch da, aber er ist nicht gestürzt. Ganz hilflos saß er da oben in einer Mauernische und kam nicht herunter – ganz wie ein kleines Kind, oder nein, wie eine Katze, die nicht mehr vom Baum herunter kommt. Hihi – aber nein, über ein solches Unglück sollte niemand lachen.“
„Beruhige Dich Marta! Was ist denn los, Du bist ja ganz durcheinander. Ich habe auch gehört, dass der König in die Stadt kommen wollte, aber damit haben wir doch nichts zu tun. Halt Dich bloß fern von diesen feinen Leute, das gibt doch nur Ärger und Scherereien!“
„Nein, mit denen lass ich mich nicht ein, was man davon hat, haben wir ja an der Hedwig gesehen – einfach sitzen gelassen hat der hohe Herr sie als sie schwanger war. Erst hat er sich mit dem jungen Ding vergnügt und dann hat er sie in den Dreck getreten – nein, nein so etwas passiert mir nicht!“
„Aber was war denn nun?“
„Vorhin am Brunnen habe ich die Gunda getroffen, die hilft doch manchmal in der Stadt in einer Schenke in der Küche aus, du weißt schon, wenn hoher Besuch erwartet wird. Und die Gunda hat mir erzählt, was heute in der Stadt passiert ist. Die feinen Herren waren alle auf der Burg versammelt, der König war auch da – stell Dir vor der König! Und sie alle sind in die Latrine gefallen!“
„In die Latrine?“
„Ja, der Boden ist gebrochen und dann saßen sie alle drunten in der stinkenden Grube! Nur der König nicht, der ist wie auf einem Thron im Gemäuer sitzen geblieben.“
„Gott beschütze den König!“
„Ja, ihm ist nichts geschehen, aber er ist auf sein Pferd gesprungen und aus der Stadt galoppiert, sobald er wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Aber er hat viele seiner hohen Herren verloren. Gunda sagte, sie sind in der Scheiße erstickt. Stell Dir das einmal vor!“

Am 26. Juli 118 kam auf der Burg in Erfurt der königliche Hoftag unter Heinrich VI. zusammen, abweichende Berichte nennen die Domprobstei des Erfurter Marienstiftes als Versammlungsort. Heinrich VI., war der zweite Sohn Kaiser Friedrich I. Barbarossa und wollte in Erfurt einen Streit zwischen dem Mainzer Erzbischof Konrad I. und Landgraf Ludwig III. von Thüringen schlichten.
Aus diesem Anlass versammelte sich der König mit einem großen Gefolge und zahlreichen Bürgern von Erfurt in der erzbischöflichen Burg der Stadt. Dort traten sie im oberen Stockwerk, dessen Bodenbalken alt und morsch waren zusammen. Unter dem Gewicht der versammelten Menschen gaben die Balken schließlich nach, sodass zahlreiche Männer eine oder sogar zwei Etagen hinabstürzten. Alle, die nicht in den Fensternischen saßen, fielen in die seit längerer Zeit nicht entleerten Latrine, die sich unter dem Saal befand, und erstickten oder ertranken, andere wurden von herabstürzenden Balken erschlagen. Ein Teil der Verunglückten konnte mit großem Aufwand gerettet werden.
Zu den Opfern des Latrinensturzes von Erfurt gehörten unter anderem Heinrich von Schwarzburg, Friedrich von Abenberg, Burkard von Wartberg und Beringer von Mellingen.
König Heinrich VI. stürzte nicht hinab, da er in einer der Fensternischen gesessen hatte, von dort musste er mit Hilfe von Leitern gerettet werden.
Es wird berichtet, der König sei von diesem Ereignis dermaßen geschockt gewesen, dass er Erfurt umgehend verlassen habe.

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